Positionspapier der Power to X Allianz für einen grünen Energiemix für den Wärmesektor

21. Oktober 2021 Stellungnahmen

Anlässlich der Koalitionsverhandlungen hält die Power to X Allianz fest, was es aus ihrer Sicht braucht, um die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Gebäuden voranzutreiben ohne dass einzelne Einkommensgruppen übermäßig belastet werden.

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  • Grüner Wasserstoff und dessen flüssige und gasförmige Folgeprodukte sind mit bestehender Infrastruktur und mit vielen Heizgeräten kompatibel. Deshalb sind sie – in sukzessiver Beimischung oder als Substitut – eine kosteneffiziente Maßnahme zum Klimaschutz im Wärmemarkt.
  • Da sich grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte in vielen Anlagen ohne Investitionsmaßnahmen beim Endkunden direkt verwenden lassen, können sie sukzessive beigemischt werden und stehen so auch für Anwendungen zur Verfügung, in deren Kontext umfassende Gebäudesanierung derzeit noch nicht in Frage kommt.
  • Um dies zu ermöglichen, muss die CO2-Bepreisung in der Hochlaufphase durch ein Anschubinstrument ergänzt werden, das in den ersten Jahren die Bereitstellung von klimaneutralen Energieträgern auch im Gebäude- und Heizungsbestand anreizt.
  • Die Sektorziele für den Gebäudebestand für 2030 sind nur dann sozialverträglich erreichbar, wenn die bestehenden Instrumente für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ausgebaut und um die hier vorgeschlagenen Anschubinstrumente erweitert werden.

Der Handlungsbedarf im Gebäudesektor zur Vermeidung der Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase ist enorm. Nicht nur die Ziele der europäischen Lastenteilungsverordnung, sondern auch die kürzlich verschärften nationalen Klimaziele erfordern schnelles und entschiedenes Handeln. Laut der Wärmeverbrauchsanalyse des BDEW wurden 2019 1.394 Mrd. kWh Energie für die Wärme- und Kältegewinnung verbraucht. Davon werden 45 Prozent in Privathaushalten zur Beheizung oder Kühlung benötigt. Das macht deutlich, dass Klimaschutzmaßnahmen im Wärmemarkt besonders kosteneffizient und sozialverträglich ausgestaltet sein müssen. Außerdem müssen die Maßnahmen und ihre Kosten über den gesamten Transformationspfad zur Klimaneutralität hinweg fair verteilt werden und breite Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Die heterogenen Nutzer- und Gebäudestrukturen machen es daher notwendig, einen ausgewogenen Mix aus Instrumenten und klimazielkompatiblen Optionen einzusetzen. Neben Effizienzsteigerungen durch Maßnahmen an der Gebäudehülle (z. B. Dämmung) und Anlagenmodernisierungen sowie der direkten Einbindung erneuerbarer Energien durch Hybridsysteme, Wärmepumpen und biomassebasierte Brennstoffe sind die Ziele der Bundesregierung und der EU für 2030 überhaupt nur dann erreichbar, wenn insbesondere im Gebäudebestand zügig zusätzlich grüner Wasserstoff und dessen gasförmige und flüssige Folgeprodukte für die Nutzung im Wärmemarkt zugelassen, als Erfüllungsoption anerkannt und – wo nötig – auch finanziell gefördert werden.

Effektiver, sozialverträglicher und effizienter Klimaschutz im Wärmemarkt funktioniert nur dann, wenn die Politik den Rahmen für einen fairen Wettbewerb zwischen verschiedenen Energieträgern und Technologien im Wärmemarkt schafft. Die Entscheidungsfreiheit der Haushalte und Kund:innen hin zu einer hundertprozentigen erneuerbaren Wärmeversorgung entsprechend ihrer individuellen Situation ist zentraler Baustein für Akzeptanz und Sozialverträglichkeit. Dabei müssen die CO2-Emissionen schrittweise und kosteneffizient sinken – mit Blick auf 2030 und 2045 vor allem auch in Bestandsgebäuden. Technologie- und Anwendungsoffenheit ist dafür eine grundlegende Voraussetzung. Unverzichtbar ist auch eine saubere Trennung zwischen „Energieträgern“ und „Technologien“ in den aktuellen politischen Debatten, denn die notwendige Substitution fossiler durch erneuerbare Energieträger impliziert nicht automatisch auch den Austausch bestehender Technologien und Infrastrukturen. Defossilisierte Energieträger wie Bio- und synthetisches Methan, Bio- und synthetisches Propan/Butan, grüner Wasserstoff sowie Bio- und synthetische Flüssigbrennstoffe ermöglichen es, fossile Energieträger für bestehende Anlagen vergleichsweise schnell und ohne große zusätzliche Investitionen durch die Hauseigentümer:innen oder Kund:innen zu ersetzen.

Sozialverträglichkeit als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Wärmewende

Um die Wärmewende im Gebäudesektor erfolgreich zu gestalten, müssen alle Haushalte aktiv zum Klimaschutz beitragen. Dabei sind alle Einkommensgruppen gefordert und gleichzeitig darf keine Einkommensgruppe übermäßig belastet werden. Die Kosten der Wärmewende sind also einerseits möglichst gesamtwirtschaftlich-effizient und anderseits möglichst sozial gerecht und ausgewogen zu verteilen, damit sie auch durch alle Haushalte mitgetragen werden können. Eine rein elektrische Lösung würde hierbei einkommensschwache Haushalte und Gebiete durch die hohen Sanierungskosten und -bedarfe trotz umfassender Förderung u. a. durch die KfW überproportional belasten. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass ein Energieträgermix und insbesondere die Defossilisierung flüssiger und gasförmiger Energieträger eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, Emissionen sukzessive immer weiter zu reduzieren und zugleich die Haushalte nicht über Gebühr zu belasten. Eigentümer:innen und Bewohner:innen müssen entsprechend ihrer individuellen Situation zwischen verschiedenen Sanierungsmaßnahmen bzw. Technologieoptionen und Energieträgern wählen können.

Eine ausreichende Verfügbarkeit erneuerbar erzeugten Stroms auch für den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen im Wärmemarkt gilt als grundlegender Pfeiler für dessen Defossilisierung. PtX-Technologien stehen dieser Entwicklung nicht entgegen, sondern sichern die zügige CO2-Minderung, die im Rahmen der bereits beschlossenen Klimaschutzziele für 2030 notwendig ist. Das ist volkswirtschaftlich wichtig, da die Elektrifizierung des Wärmesektors unter anderem durch die in der Regel notwendigen personal- und kostenintensiven Gebäudesanierungen mit Blick auf die Klimaschutzziele bisher und auch in absehbarer Zukunft deutlich zu langsam vorangeht.

Auch regionale Unterschiede und bestehende Infrastrukturen machen einen Technologiemix mit grünem Öl und grünem Gas sowie Hybridsystemen gesamtbetrachtet zur nachhaltigeren und resilienteren Lösung. Der alleinige technisch effiziente Einsatz von Wärmepumpen würde nie dagewesene Modernisierungsraten und Investitionskosten für die Immobilieneigentümer:innen im Gebäudebestand voraussetzen und damit nicht schnell genug zu den notwendigen Emissionsminderungen führen. Tatsächlich ist also aus dieser Perspektive geboten, flüssige und gasförmige fossile Energieträger zügig durch grüne Moleküle zu ersetzen.

Technologische Notwendigkeit flexibler Lösungen

Aus Sicht der PtX Allianz ist auf eine Vielfalt technologischer Lösungen zu setzen. Dazu sollte die Bereitstellung grüner Moleküle mit entsprechenden Maßnahmen angereizt werden. Für Anreize zur Bereitstellung grüner Moleküle sprechen außerdem eine Reihe technischer Argumente: Zum einen ist der enorme Energiebedarf im Wärmesektor nicht allein durch Elektrifizierung zu bewerkstelligen. Eine signifikante Elektrifizierung des Wärmesektors würde bis 2030 zu einem zusätzlichen Strom-Spitzenbedarf im Umfang von 7 bis 40 GW führen. Besonders mit zunehmenden Anteilen schwankender Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie benötigt der Wärmesektor auch Energieträger und zugehörige Infrastrukturen, die in der Lage sind, Spitzenbedarfe und Engpasssituationen vor allem im Winter zuverlässig abzusichern und damit auch prohibitiv hohe Strompreisspitzen zu verhindern. Dezentrale Hybridsysteme könnten hier Zuverlässigkeit schaffen, die Spitzenlast senken, die Netzstabilität vor Ort sichern und gleichzeitig die Einkopplung anderer erneuerbarer Energieträger erleichtern, benötigen aber Zeit und Investitionen. Im Übergang kann der Betrieb bestehender Heizgeräte, die erneuerbare Energieträger bis zu einem gewissen Grad ohne kostenintensive Anpassungen nutzen können, Entlastung schaffen und bei der THG-Minderung helfen. Neue Geräte können künftig dann rein erneuerbar betrieben werden – entweder mit Strom, wenn Hybridsysteme installiert wurden, oder mit strombasierten erneuerbaren Energieträgern. Für strombasierte flüssige erneuerbare Energieträger liegen bereits Freigaben namhafter Gerätehersteller bis zu einer Beimischungshöhe von 100 Prozent vor. Auch Hersteller von Geräten für gasförmige Energieträger entwickeln vollständig wasserstoffkompatible Geräte.

CO2-Bepreisung als langfristige Strategie

Um die notwendigen Investitionen im Wärmemarkt anzustoßen, startete 2021 die nationale CO2-Bepreisung. Die durch den direkten Einsatz fossiler Energieträger verursachten Emissionen werden dabei zunächst um einen festgelegten Aufschlag verteuert und ab 2025 durch handelbare Zertifikate mit einem marktgetriebenen Preis versehen. Dabei steht außer Frage, dass die CO2-Bepreisung kurz-, mittel- und langfristig die notwendigen Anreize für die Wärmewende geben wird. Fossile Energieträger werden im Wärmemarkt typischerweise frühestens bei Vermeidungskosten von 150 bis 200 Euro pro Tonne CO2 substituiert. Doch solange es keine niederschwelligen Optionen zur Vermeidung von Emissionen gibt, führt der CO2-Preis primär zu einer Mehrbelastung vieler Verbraucher:innen und Haushalte, ohne tatsächlich CO2-Einsparmaßnahmen anzustoßen. Damit würden die CO2-Emissionen viele Jahre lang konstant bleiben – ein Vorgehen, dass für alle Akteure gleichermaßen unbefriedigend ist.

Auch in anderen Sektoren sieht man, dass eine CO2-Bepreisung mit einem weiteren Markteinführungsinstrument kombiniert wird, um die Technologienentwicklung sicherzustellen. Im Stromsektor gibt es beispielsweise den Emissionshandel und das EEG, im Verkehrssektor das BEHG und eine Treibhausgasminderungsquote.

Die CO2-Bepreisung müsste also in der Hochlaufphase durch ein Anschubinstrument ergänzt werden, um gerade in den ersten Jahren die Bereitstellung von klimaneutralen Energieträgern anzureizen und insbesondere im Bestand zu einer CO2-Minderung beizutragen.

Instrumente für einen zügigen Markthochlauf erneuerbarer Gase und Flüssigbrennstoffe

Ein mögliches Instrument zur Förderung eines Hochlaufs von defossilisierten Energieträgern im Wärmemarkt könnte eine rechtlich verbindliche Quote für Energieträger wie Bio- und synthetisches Methan, Bio- und synthetisches Propan/Butan, grüner Wasserstoff sowie Bio- und synthetische Flüssigbrennstoffe sein. Diese Quote könnte zum Beispiel als Verpflichtung für Anbieter von gasförmigen und flüssigen Brennstoffen ausgestaltet sein und sich entweder an einem Mengenziel oder an einem Treibhausgasminderungsziel orientieren.

Eine solche Quote würde die bestehenden und notwendigen Maßnahmen zur Beschleunigung der Gebäudesanierung wie Heizungsmodernisierung oder Dämmung ergänzen. Eine Verpflichtung auf Basis einer stetig ansteigenden Quote wäre ein zielführendes Förderinstrument, um die Beimischung und schrittweise Substitution fossiler durch erneuerbare gasförmige und flüssige Brennstoffe schnell und effizient zu erreichen und damit zur kurz- bis mittelfristigen CO2-Minderung beizutragen. Außerdem würde sie auf der Nachfrageseite den Betrieb von PtX-Technologien anreizen. Sie könnte eine stabile Hochlaufkurve sicherstellen und den Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit geben. Ein stabiler Absatzmarkt im Wärmesektor senkt auch die Investitionsrisiken für die PtX-Erzeugung für andere Akteure – je größer und liquider der Markt, desto geringer die Risiken.

Einer verpflichtenden Quote geht jedoch unweigerlich die Frage der Verfügbarkeit von defossilisierten Energieträgern voraus, da bei einem Engpass die Gefahr bestünde, dass eine Quotenregelung im Wärmesektor den Vertrieb vor neue Herausforderungen stellen würde. Um die Verfügbarkeit sicherzustellen ist eine Einführungsphase mit geringer Quotenhöhe und dann eine Markthochlaufphase notwendig. Nur so haben die Projektentwickler:innen in Deutschland und im Ausland ausreichend Zeit, die erforderlichen Projekte umzusetzen. Mit dem in der nationalen Wasserstoffstrategie prognostizierten Bedarf von rund 90 bis 110 TWh ist absehbar, dass es trotz einer wahrscheinlichen Steigerung der europäischen und deutschen Produktion von grünem Wasserstoff zwingend notwendig sein wird, einen Teil zukünftig auch zu importieren. Außereuropäisch gibt es große und ausreichende Potenziale für die Produktion von grünem Wasserstoff, wie etwa der im August 2021 vom Bundesumweltministerium und dem Fraunhofer Institut vorgestellte globale PtX-Potenzialatlas zeigt. Außerdem sollten die Ausbauziele für die Elektrolyse und die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland und Europa deutlich angehoben und den tatsächlichen Potenzialen angenähert werden – analog zu einem deutlich ambitionierteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Nun geht es darum, diese Potenziale auch zu realisieren und den Weg hin zu den synthetischen gasförmigen und flüssigen Molekülen über technologieoffene Rahmenbedingungen im Wärmemarkt zu gestalten und umzusetzen.

Ein alternatives Instrument zur Förderung eines Hochlaufs von erneuerbaren Brennstoffen im Allgemeinen und PtX im Speziellen wäre ein technologieoffenes Einbindungsgebot für erneuerbare Energien im Falle umfassender Gebäudesanierungsmaßnahmen oder bei Heizungsmodernisierungen mit der Anerkennung erneuerbarer flüssiger und gasförmiger Anteile als eine Regel-Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz. Die Höhe der erneuerbaren Brennstoffbeimischungen sollte sich dabei zu Beginn an der Treibhausgasminderung schon bestehender Erfüllungsoptionen wie z. B. der Solarthermie orientieren und könnte ggf. mit Mindesteffizienzanforderungen kombiniert werden. Eine massenbilanzielle Erfüllung oder ein Zertifikatehandel nach dem „Book and Claim“-Prinzip sollte ermöglicht werden.